Vorhang auf für Sophea
08. Juli.2015
Zurzeit ist bei uns in der Schule viel los und die Zeit scheint an einem vorbeizufliegen! Als Englischlehrer bereite ich die Abschlussexamina für meine Schüler vor. Am Montag werden dann 250 Schüler Klausuren in englischer Kommunikation schreiben, die ich dann in drei Tagen korrigieren muss. Plötzlich kann ich Lehrer viel besser verstehen als noch vor einem Jahr! Und obwohl unsere Schüler kurz vor ihren Abschlussprüfungen stehen, wird die Freizeit nicht nur zum Lernen genutzt sondern es wird in jeder Pause Fußball gespielt. Hier eine Neuauflage des WM-Finales in Rio:
Vor einigen Tagen besuchte uns eine australische Don-Bosco-Jugendgruppe, die unseren Schülern beim Englischlernen half. Eine tolle Aktion! Denn obwohl die Australier nur eine Woche blieben, konnten viele unserer Schüler ihr Englisch anwenden und ausprobieren. Die Schattenseite: Unsere Schüler begrüßen sich und alle Vorgesetzten neuerdings mit “Hey mate!” und “How ya doing?”.
Uns trotz all diesen Ereignissen findet man immer etwas Zeit, um sich mit den Schülern zu unterhalten oder etwas zu unternehmen. Letzte Woche kam nach meinem Good-Night-Talk Sophea (Name geändert) auf mich zu und erzählte mir seine Geschichte. Er selber sagt, er gliedere sein Leben in “vor und nach Don Bosco”.
Sophea ist 20 Jahre alt und lebt in unserer Schule, denn er und 149 andere Schüler haben Glück gehabt und dürfen in unserem begehrten Internat leben. Diese Schüler kommen aus verarmten Familien vom Land und haben aufgrund des Einkommens der Eltern oder der Lage ihres Hauses keine Möglichkeit in eine weiterführende Schule aufgenommen zu werden. Sopheas Familie kommt aus der Provinz Kompong Cham, welche nördlich von Phnom Penh liegt und von unserer Schule in knapp zwei Stunden zu erreichen ist.
Sopheas Mutter ist wie viele Khmer in dieser Region eine Reisbäuerin, denn Landwirtschaft ist die Haupteinnahmequelle vieler Familien. Auch sein Vater war im Reisanbau tätig, hatte jedoch mit schweren Alkoholproblemen zu tun. Als Sophea über seinen Vater redet, stockt er. Dann erzählt er, sein Vater sei aufgrund des Alkohols vor einigen Jahren gestorben. Bis heute leidet Sophea am Tod seines Vaters, da er sich selbst eine Mitschuld gibt. Er hat geholfen den Reiswein herzustellen. Leider gehören unter der ärmlichen Bevölkerungsschicht Alkoholprobleme zum Alltag, da der hochprozentige Reiswein für wenig Geld erhältlich ist oder selber hergestellt werden kann. In solchen Gefäßen wird der Reiswein gelagert:
Seit dem Tod seines Vaters muss Sophea für den Unterhalt der Familie mitverdienen, indem er und seine ältere Schwester der Mutter in der Landwirtschaft und bei der Ernte helfen.
In ihrer restlichen Zeit durften sie eine kambodschanische High School besuchen. Die spärliche Schulausbildung, die dort geleistet wird, half Sophea ein Grundwissen zu erlangen, doch die schlechte Ausbildung der Lehrer vermeidet mehr. Und das ist schade, denn Sophea ist ein aufmerksamer und lernwilliger Schüler.
Da es meist nur in den großen Städten Phnom Penh, Siem Reap und Sihanoukville Universitäten und weitere Ausbildungsmöglichkeiten gibt, müssen viele Schüler ihre Heimatstadt verlassen – leider haben nur Wenige die finanziellen Möglichkeiten dazu! Aufgrund seiner schwierigen familiären Situation hat unser Direktor Pater Roel entschieden, dass Sophea auf Kosten der Schule hier schlafen und essen kann. Auch das Schulgeld wird größtenteils übernommen. So hat Sophea die Möglichkeit eine Ausbildung zu erhalten.
Und wie sieht Sopheas Alltag jetzt an der Don Bosco Technical School aus?
Sophea wacht jeden Morgen um 5:30 auf und macht sich bereit für die Schule. Der gemeinsame Schultag wird mit einer Versammlung der ganzen Schule angefangen. Alle Schüler müssen in ihrer Schuluniform gerade in einer Reihe stehen und während die kambodschanische Flagge gehisst wird, singen alle zusammen lautstark die Nationalhymne. Dabei singen unsere Schüler jedoch mit mehr Enthusiasmus als die gesamte Nationalmannschaft beim Endspiel in Rio.
Danach werden die Klassen gestürmt und der Unterricht kann beginnen. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es an unserer Schule kein Erdkunde, Musik und Geschichte, sondern technische Fächer bestimmen den Schulalltag. So wird hier Elektrotechnik, Automechanik und Druckwesen unterrichtet. Jaaaa, kein Mathe? Doch, das gibt es hier leider auch!
Meine Aufgabe ist den Schülern englische Kommunikation beizubringen, sodass sie sich mit ihrem zukünftigen Arbeitsgeber auch auf Englisch verständigen können und zwar nicht mit “Hey mate!” oder “How ya doing?”. Sophea und die anderen Schüler lernen mit viel Ausdauer, da sie wissen, dass Bildung in der heutigen Zeit die Zukunft bestimmt. Fast jeder träumt davon später einmal eine gute Arbeit zu finden oder ein eigenes Unternehmen zu gründen und mit dem Geld die eigene Familie zu unterstützen. Und ich bin zuversichtlich, dass viele es erreichen werden!
Doch obwohl diese großartige Arbeitsmoral oft den Unterricht bestimmt, habe ich natürlich auch Schüler, die sich im Unterricht lieber mit Fußball und schnellen Autos beschäftigen als mit unregelmäßigen Verben.
Nach dem Unterricht haben unsere Schüler Freizeit! Und diese wird natürlich genutzt: Es wird Volleyball gespielt, manche Schüler versuchen bei 35°C im Schatten zu entspannen und andere kaufen sich Zuckerrohrsaft oder andere Leckereien von den Straßenhändlern. Ab und zu bekomme auch ich eine kambodschanische Spezialität geschenkt, z.B. fritierte Vogelspinnen! Oh ja, das war kein Scherz. In Kambodscha können die Menschen den Ekel, den viele Europäer vor Insekten haben, nicht verstehen, denn Spinnen, Grillen, Kakerlaken und Mehlwürmer gelten hier als schmackhaft und werden mit einer Selbstverständlichkeit gegessen wie man in Deutschland Chips isst. Weitere beliebte Snacks, die man immer wieder auf dem Markt antrifft, sind Mäuse und Schlangen. Mein persönlicher Lieblingssnack ist jedoch Frosch:
An drei Nachmittagen in der Woche leite ich das Basketballtraining. Auch Sophea nimmt daran teil. Wir trainieren dreimal die Woche und aus dem anfänglichen kunterbunten Haufen wurde nach und nach ein Team! Jetzt haben wir schon einige Spiele gegen andere Schulen bestritten und konnten letztens sogar gegen das Lehrerteam unserer Schule, inkl. Direktor Pater Roel, gewinnen! Go Phnom Penh!
Nach dem Basketballtraining ist für Sophea und seine Freunde duschen angesagt. In unserer Schule haben wir keine Duschköpfe, da diese zu teuer sind, sondern das Wasser wird aus einem Wassereimer geschöpft und über den Kopf gegossen. Nach anfänglichem Zögern bin ich ein großer Fan dieser Duschen geworden, denn die „Ice Bucket Challenge“ haben wir jeden Tag – leider ohne Eis!
Um 18:00 wird es in Phnom Penh schon langsam dunkel und Sophea macht sich auf dem Weg in die Study Hall. Dies ist der Ort, an dem gelernt wird und Hausaufgaben gemacht werden. Täglich verbringt Sophea hier einige Stunden, denn er hat ehrgeizige Ziele, für die man viel arbeiten muss. Er würde später einmal gerne Elektriker werden.
Pünktlich um 19:00 dürfen unsere Schüler die Study Hall verlassen, um gemeinsam zu Abend zu essen. Ab und zu fällt zu dieser Zeit der Strom aus und aus dem Abendessen wird ein Candle-Light-Dinner. Nach dem Abendessen haben die Schüler etwas Freizeit. Man kann zusammen musizieren, Brettspiele spielen oder einfach nur Spaß haben. Kurz bevor die Schüler schlafen gehen halten wir Volontäre einen kurzen “Good-Night-Talk”, um Sophea und seinen Freunden einen guten Gedanken für die Nacht mitzugeben. Und dann kehrt nach einem ganzen Tag voller Taten endlich Ruhe in die Don Bosco School ein – jedoch nur für ein paar Stunden!
Liebe Grüße aus dem Kingdom of wonders!
Euer Dominik