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Viele misstrauen großen Institutionen

1993-brunoforum
Datum:
17. Mai 1993

Pfarrer Dr. Joachim Gaida in St. Bruno

Klettenberg, Mai 1993

 

„Polnisch ist gleich katholisch", dies sei eine althergebrachte Parole, die auch unter kommunistischer Herrschaft ihre Gültigkeit behalten habe. Auf diesen Nenner brachte Joachim Gaida seinen Bericht über die „Lage der Kirche in Polen". Der in der Priesterausbildung im niederschlesischen Opole (Oppeln) tätige Pfarrer war vom „Aktionskreis Polenhilfe" der Gemeinde Sankt Bruno nach Köln eingeladen worden.

 

Vor 30 Zuhörern bezeichnete Gaida Polen als „ein Land der Paradoxien", in dem viele Menschen ein „Doppelleben" geführt hätten. In der Zeit des Kommunismus seien die Kirchen zwar überfüllt und das öffentliche Leben von kirchlichen Festen geprägt gewesen. Zugleich hätten sich die Menschen zumindest äußerlich an die offizielle Parteiideologie angepasst. „Man war Mitglied in der Kirche und in der KP." Eine außerordentliche Schwäche der polnischen Religiosität sei schon lange die fehlende Konsequenz im Alltag gewesen. „Man dachte etwas anderes als man sagte und tat. Es existierte eine Scheinrealität."

Vier Hilfskonvois ins oberschlesische Gleiwitz hat der Aktionskreis Polenhilfe von St. Bruno bislang organisiert. Am Anfang paßte die Ladung noch in einen Bus, zuletzt wurden drei Laster benötigt. (Bild: Dufner)

„Was Kirche und Staat verband, war das gemeinsame nationale Interesse", meinte Gaida. Dieses Interesse und die große Autorität, die sie im Volk genoss, habe es der Kirche ermöglicht, einen Schonraum bereitzustellen, in dem sich Menschen „im Geiste der christlichen Soziallehre" organisierten. Hier hätten sie die „Erfahrung von Demokratie, Pluralismus und Toleranz" machen' können. „Kein Wunder also, dass die Kirche am Anfang des politischen Umbruchs in Polen eine wichtige Rolle spielte.

 

Inzwischen seien in Polen nicht nur die Kirchen leerer geworden. „Es wurden sogar Stimmen laut, die vor einem neuen Klerikalismus warnten", skizzierte Gaida die gegenwärtige Entwicklung. Folgende Gründe seien seiner Ansicht nach ausschlaggebend: Die Autorität der Kirche sei 'doch nicht so groß wie immer angenommen, der allgemeine Hass auf Institutionen richte sich auch gegen die Kirche. Sehr oft werde der Kirche auch vorgeworfen, sie mische sich zu sehr in die Politik ein. „Es geht natürlich nicht, dass ein Dorfpfarrer seinen Schäfchen vorschreibt, welche Partei sie wählen sollen." Viele Geistliche reagierten angesichts der Pluralität und vielen Freiheiten verunsichert und verängstigt.

 

Der Pfarrer aus Oppeln umriss das „Gegenmodell" einer Kirche, die offene Gemeinschaft der Gläubigen sei, die karitative Einrichtungen schaffe und für Minderheiten Partei nehme. Immerhin sei es die Kirche gewesen, die zuerst der deutschen Minderheit in Polen Gehör geschenkt habe, „Ich glaube, wir gehen in diese Richtung", fasste Gaida abschließend zusammen.
  
"Vier Hilfskonvois ins oberschlesische Gleiwitz hat der Aktionskreis Polenhilfe von St. Bruno bislang organisiert. Am Anfang passte die Ladung noch in einen Bus, zuletzt wurden drei Laster benötigt. (Bild: Dufrier)

 

Die Gründungsmitglieder des Aktionskreises Polenhilfe, Sylvia und Leszek Paszkiet, kennen Gaida aus seiner Zeit als Kaplan im oberschlesischen Gliwice (Gleiwitz). Anfang der 80er kamen die Paszkiets nach Köln. Seit 1988, als Leszeks Tante bei einem Hausbrand Hab und Gut verlor, haben die Paszkiets vier Hilfstransporte nach Polen organisiert. Inzwischen hat der Aktionskreis neun aktive Mitarbeiter aus der Gemeinde Sankt Bruno. Die Hilfsgüter umfassen Kleidung, Spielzeug, Rollstühle aber auch liturgische Geräte für den Gottesdienst. „Wir sind dankbar für die Welle der Hilfsbereitschaft, die wir in der Gemeinde Sankt Bruno erfuhren", sagte Sylvia Paszkiet. „Ich glaube sagen zu dürfen, dass wir in der Gemeinde in Gleiwitz Freunde gewonnen haben."

 

Markus Dufner

Kölner Stadt-Anzeiger, 27. Mai 1993