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Gastfreundschaft erleben ...

2001-10 Polentransport 05
Datum:
4. Okt. 2001

AK Polenhilfe berichtet - Oktober 2001

Bisher hatte immer Leszek Paszkiet das Vergnügen, unseren Transportbericht zu schreiben. Diesmal bin ich dran und möchte mich kurz allen vorstellen, die mich nicht kennen.

Mein Name ist Edith Gasper und ich bin zusammen mit meinem Mann Martin verantwortlich für den Polentransport in der Pfarrei St. Bruno in Köln. Wir führen dort fort, was Familie Paszkiet angefangen hat und jetzt in Hennef weiterführt.

Nach zwei wunderschönen Herbstwochen in Polen kann ich Ihnen nun berichten, wie unser 11. Transport verlaufen ist. Dabei möchte ich gerne auf die vielen Fragen eingehen, warum wir die Transporte immer noch durchführen, was mich an Polen so fasziniert und wie sich die Situation dort für mich darstellt.

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Meine Sichtweise ist die einer Deutschen, die von der deutsch-polnischen Geschichte nicht persönlich betroffen ist. Ich habe weder Vorfahren, die unter der Vertreibung zu leiden hatten noch Verwandte in oder aus Polen.

Ich habe allerdings mittlerweile sehr gute Freunde dort gefunden, mit denen ich über alles reden und auch zusammen beten kann. Ganz zu schweigen von den vielen Bekannten, mit denen wir uns immer wieder treffen.

Ich habe das Erlernen der polnischen Sprache, das Lesen polnischer Literatur und die Beschäftigung mit der polnischen Geschichte der Vergangenheit und Gegenwart zu meinem Hobby gemacht. Dass ich mich in Polen mittlerweile in der Landessprache verständigen kann, erleichtert und intensiviert natürlich die Kontakte dort.

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Der Transport selbst verlief schon fast routinemäßig. In den letzten Wochen vor der Fahrt gab es wie immer viel zu tun. Neben dem Sortieren der Spenden waren auch die vielen Formalitäten zu erledigen: Desinfektion der Kleidung, Polnische Botschaft, verschiedene Bescheinigungen der Pfarrgemeinde, Grenzpapiere usw.

Da wir unseren Lagerraum räumen mussten, hatten wir diesmal einen großen Tieflader bei der Spedition in Polen gemietet. Dieser war so groß, dass er die meisten Unterführungen der Umgebung vor allem in Köln nicht durchfahren konnte. Teilweise mit Hilfe der Polizei kam er dann doch bei den Lagerräumen in der Grundschule Bernkastelerstraße und dem Gymnasium in Hennef an, wo wir ihn mit vielen freiwilligen Helfern beladen konnten, denen wir an dieser Stelle herzlich danken möchten. Fahrt, Zollformalitäten und Entladen in Polen verliefen reibungslos. Auch dort hatten wir viele freiwillige Helfer, die sich zum Teil extra frei genommen hatten.

Auch die Fahrt der beiden begleitenden Familien war bis auf eine 2-stündige Wartezeit an der Grenze (wegen der Herbstferien) kein Problem.

So konnten wir die Sachen (immerhin über 8 Tonnen an Kleidung, Schuhe, Spielsachen, Kinderwagen, Babybetten etc.) in Gliwice (Gleiwitz) und Nysa (Neiße) wie immer verteilen.

Dabei hatten wir ein besonderes Erlebnis mit einem kleinen Jungen. Er hatte in unseren Schuhen ein Paar für sich entdeckt, von dem er aber nur noch einen Schuh fand. Er hat bestimmt 2 Stunden nach dem zweiten Schuh gesucht, bevor wir ihm versprachen, ihm Bescheid zu geben, falls wir ihn noch finden sollten. Tatsächlich tauchte der Schuh beim Aufräumen wieder auf. Allein die strahlenden Augen dieses Jungen waren alle Arbeit wert und stehen stellvertretend für viele andere, die sich überschwänglich bei uns bedankt haben.

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Besonders beeindruckt hat mich diesmal der Besuch bei unserem Freund Wojtek Lewandowski in Neiße. Er hat dort für die Kinder der Sonderschule, die bisher in sehr beengten und schlechten Raumverhältnissen unterrichtet wurden, ein leerstehendes Kirchengebäude aufgetrieben. Die Stadt konnte zwar von der Notwendigkeit überzeugt werden, die Miete zu zahlen, aber alles Weitere muss er mit den anderen Lehrern in Eigenarbeit und -initiative machen. Wie wir aus den integrativen Kindergärten und Schulen bei uns wissen, ist gerade eine behindertengerechte Ausstattung und Umgebung wichtig und meist nicht billig. Viele Dinge aus unseren Transporten hat er dort verwendet.

Wojtek hat mittlerweile einen „Förderverein“ gegründet, organisiert Theater- und Musikfestivals für Behinderte und Nichtbehinderte, um Geld für die Schule zu sammeln und damit dringend benötigte Therapiegeräte und die Gestaltung des Außengeländes bezahlen zu können. Aber auch sonst halte ich es für ganz wichtig, die Menschen dort weiter zu unterstützen, damit sie den Mut nicht verlieren.

Dabei geht es uns nicht allein um die materielle Hilfe, sondern ganz besonders um die zwischenmenschlichen Kontakte.

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Wenn sich Deutsche und Polen ohne geschichtliche Vorbelastungen kennenlernen, miteinander feiern und reden, entdecken sie bald viele Gemeinsamkeiten und lernen ihre gegenseitigen Probleme kennen und verstehen. Vorurteile haben so keine Chance mehr und es ist ein kleiner Schritt zur Völkerverständigung.

Es hat sich viel getan, seit wir das erste Mal in Polen waren. Die Straßen sind besser geworden, die Autos und Lastwagen sind schneller und moderner geworden, die Zahl der Pferdefuhrwerke ist gesunken und die Geschäfte bieten alles zu kaufen, was wir aus Deutschland auch gewohnt sind und - zumindest was die Lebensmittel für den täglichen Bedarf angeht - zu für uns günstigen Preisen. Das hängt allerdings von dem sehr schwankenden Wechselkurs ab. Im Frühjahr dieses Jahres waren die Lebensmittelpreise genauso hoch wie bei uns.

Das ändert sich aber schon bei Kosmetika (wozu ich auch normales Duschgel, Haarwaschmittel und Zahnpasta zähle), die zum Großteil wesentlich teurer sind, als bei uns. Das geht soweit, dass wir z.B. Zahnpasta von hier für unsere polnischen Bekannten mitbringen, weil sie dort das doppelte kostet.

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Wenn man dann noch berücksichtigt, dass der Durchschnittsverdienst bei 1.000,- Zloty (etwa DM 500,-) liegt, wird schnell klar, dass die Armut nicht mehr offensichtlich am Angebot in den Läden abzulesen ist, aber sozusagen privat in den Familien, bei den Alleinerziehenden und den alten Leuten wohnt. Diese verdeckte Armut fällt dem Polen-touristen überhaupt nicht und selbst dem, der private Kontakte hat, nicht auf den ersten Blick auf.

Eine der herausragenden Eigenschaften der Polen ist die Gastfreundschaft. Das durften wir schon oft erleben und ist eines der Dinge, die mich immer wieder dorthin ziehen.

Und zur Gastfreundschaft gehört in Polen das gute Essen und der Gast wird immer gutes Essen bekommen, egal, wie schlecht es der Familie sonst gehen mag. Und auch eine Übernachtungs-möglichkeit wird in der kleinsten Wohnung angeboten, selbst wenn die Familie dann nur noch ein Zimmer zum Schlafen behält. Dank dieser Großzügigkeit finden wir auch mit unseren 5 Kindern immer ein Unterkommen und können uns vor Einladungen zum Essen kaum retten.

Die Wohnungen sind eher klein. Oft wohnt noch ein Großelternteil mit darin, die Kinder haben ein Zimmer und die Eltern schlagen abends ihr Bett im Wohnzimmer auf. Auch junge Eheleute müssen oft noch lange bei den Eltern in einem Zimmer leben, weil sie eine eigene Wohnung nicht bezahlen können. Wenn die Familie überhaupt einmal in Urlaub fährt, schlafen dort alle in einem Zimmer, weil es dann nicht so teuer wird. Und manchmal bleibt am Ende des Monats das Auto für eine Woche stehen, weil kein Geld mehr für Benzin da ist. Viele Dinge werden zu Fuß, oder, wenn man hat, mit dem Fahrrad erledigt. Aber nicht nur wegen des Missverhältnisses von Preisen und Einkommen möchten wir weiterhin helfen. Das große und vor allem wachsende Problem heißt Arbeitslosigkeit.

Arbeitslosigkeit bedeutet in einem Land, in dem nur ein Einkommen für den Unterhalt einer Familie nicht reicht, besonders für die Familien eine Katastrophe. Arbeitslosigkeit bedeutet ein halbes Jahr Arbeitslosengeld, das etwa auf unserem Sozialhilfeniveau liegt, und dann ist Schluss!

2001-10 Polen - mroncz

Die Arbeitslosigkeit im Kohlenrevier Polens wächst. Viele Zechen werden geschlossen und die Menschen stehen auf der Straße. Auch in den ländlichen Gebieten Zentralpolens gibt es keine Arbeitsplätze und die wenigen Verdienstmöglichkeiten werden zum Teil durch ungeschickte Privatisierung von Firmen mutwillig zerstört. Da wurde z.B. in der Nähe von Konin eine Zuckerrübenfabrik privatisiert und an einen deutschen Unternehmer verkauft. Dieser musste sich aber nur für zwei Jahre verpflichten die Zuckerrüben der umliegenden Bauern abzunehmen. Jetzt ist diese Frist vorbei und er hat angekündigt, im nächsten Jahr Zuckerrüben aus Deutschland (billig) verarbeiten zu wollen. Das bedeutet für die umliegenden Bauern, die zum Teil schon 50 km Weg zu dieser Fabrik haben, dass eine der wenigen verbliebenen Geldquellen im nächsten Jahr nicht mehr da sein wird.

Für uns war es wieder ein wunderschöner Urlaub in Polen. Wir haben die Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Menschen genossen, wir haben Landschaften und Burgen erkundet, wir haben Lagerfeuer gemacht, Würstchen gegrillt und mit den Menschen zusammen gelacht und gefeiert.

Wir konnten in der Gemeinde von Kaplan Sznura erleben, wie am Sonntag das ganze Stadtviertel auf den Beinen ist, um zur Kirche zu gehen und wir freuen uns schon auf die nächsten Treffen mit unseren polnischen Freunden und Bekannten.

Dank Ihrer Hilfe konnten wir ihnen vor dem Winter ein bisschen Hoffnung geben und zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Wir hoffen, dass wir unsere Arbeit fortsetzen können und dass Sie uns verbunden bleiben.

 

Ab sofort finden Sie uns im Internet unter der Adresse http://www.liebfrauen-hennef.de (dann bitte Gruppen - AK Polenhilfe anklicken). Dort können Sie auch über unseren anderen Aktionen nachlesen. Wir wünschen Ihnen auch im Namen unserer polnischen Freunde für die Zukunft alles Gute und Gottes Segen.

 

Für den AK Polenhilfe
Edith Gasper