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Predigt an Weihnachten 2022

Datum:
26. Dez. 2022
Von:
cj

In Norwegen sieht man sich „Dinner for one“ nicht wie bei uns an Silvester an, sondern am 23.12., dem Tag vor Heiligabend. 

So wird kurz vor dem Fest klar gesagt, worauf es ankommt:

„The same procedure as every year“.

Auch dann, wenn alle Gäste bereits verstorben sind, muss alles ganz genauso ablaufen wie jedes Jahr. Und da gibt es keine Diskussion. 
Die gut versteckte Trauer darüber, dass sämtliche Gäste bereits verstorben sind, lässt sich gut vertreiben mit reichlich Sherry zur Suppe, Weißwein zum Fisch. Champagner zum Hähnchen und Portwein zum Obst. 

 

Es passt zu Weihnachten, dem Fest im Jahr, an dem sich auch nichts verändern darf.

„The same procedure as every year“, wie sonst?

 

Aber ist das wirklich eine so gute Idee?

Kaum schalten wir am Heiligabend das deutsche Fernsehen ein, erleben wir irgendwie jedes Jahr dasselbe. Michel aus Lönneberga, der kleine Lord, Sissi – und als Höhepunkt im Programm: Weihnachten bei Familie Hoppenstedt – mit der wehmütigen Erkenntnis: „Früher war mehr Lametta“. 

 

Tatsächlich kennt die Generation der Unter-50-Jährigen Lametta nur noch von alten Bildern, aber die Wehmut klingt mit. Früher war es irgendwie schöner, glitzernder, beeindruckender.

 

Merkwürdig, dass wir Weihnachten am liebsten so feiern wie immer, unverändert, jedes Jahr gleich, das gleiche Essen, die gleiche Musik, die gleichen Leute. Da vergießen wir dann gerne Freudentränen, wenn die Familie gewachsen ist und leuchtende Kinderaugen das Fest bereichern, und Tränen der Trauer, weil die Oma nicht mehr dabei ist.

 

Weihnachten ist ein Fest mit Vergangenheit, ganz klar. Aber es ist vor allem ein Fest mit Zukunft. Wenn Gott Mensch ist, kann alles gut werden. Das geht so weit, dass die Menschen irgendwann die Zeit auf Null gesetzt haben. Das Jahr Null, der weltweite Neuanfang aller Dinge sollte genau der Moment der Menschwerdung Gottes sein, ein für alle Mal. 

 

Sehr alte Texte hören wir in diesen Tagen. 

Vor über 2700 Jahren spricht der Prophet Jesaja von dem hellen Licht im Dunkeln, von lautem Jubel und großer Freude.

Vor fast 2000 Jahren beschreibt der Evangelist Lukas die große Freude, die von der Geburt des Retters und Erlösers in der Davidsstadt Bethlehem ausgeht, und einige Jahre später beschreibt der Evangelist Johannes, wie das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat – und wir haben seine Herrlichkeit gesehen. 

 

The same procedure as every year.

 

Aber diese vertrauten alten Texte tragen die Hoffnung bis in die Gegenwart und Zukunft hinein. 

Heute ist uns der Retter geboren.

Dieses Heute meint uns, meint die Gegenwart.

Eine Zeit, in der Krieg herrscht mitten in Europa. 

Tage, an denen so viele Menschen krank geworden sind wie selten zuvor.

Jahre, in denen wir spüren, dass der Klimawandel die Welt sichtbar verändert, und nicht zum Guten.

Sorgenvolle Zeiten, in denen wir merken, dass unser Wohlstand schrumpft und alte Sicherheiten nicht mehr tragen.

 

Genau in diese Zeit hinein wird Gott Mensch, kommt zu uns, um zu bleiben.

Er verlässt nicht das sinkende Schiff, er steigt ein. 

Deshalb feiern wir Weihnachten und werden niemals darauf verzichten. Weil in unsicheren Zeiten Gott selber es ist, der Sicherheit schenkt und uns verspricht: Ich bin für euch da, ich bin mit euch unterwegs, ich bin der Immanuel, der Gott mit uns. 

Ein Weihnachten wie bei Hoppenstedts, bei dem sich die Geschenke bis an die Decke türmen und überflüssig sind wie ein Kropf – herrlich persifliert durch das explodierende Miniatur-Atomkraftwerk - das braucht keiner. 

 

Ein Fest der Hoffnung brauchen wir dagegen alle. Mit der Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft, mit der Sehnsucht nach Frieden im Großen wie im Kleinen und mit dem Mut, die Welt ein kleines Bisschen besser zu machen, hat das Weihnachtsfest seinen großen und tiefen Sinn.

 

Bis heute werden Geschichten erzählt, wie Weihnachten in Kriegszeiten und in großer Not gefeiert wurde und wie kleine unscheinbare Geschenke und Ereignisse zu kleinen Wundern wurden, die Freude und Dankbarkeit in die Gesichter der Beschenkten zaubern konnten. In der Ukraine wird es viele Menschen geben, die ein solches Weihnachtsfest erleben. Als Fest der Hoffnung, als Wendepunkt der Geschichte, verbunden mit der Sehnsucht nach Frieden.

 

Damals in Bethlehem war in der Geburtsstation der umliegenden Krankenhäuser kein Platz für die Mutter und das Kind. Nicht einmal ein sauberes Bett gibt es für Maria und Josef. 
Nur den ärmlichen Stall. Das war auch ein Weihnachten in großer Not und Sorge.

 

Aber – da bin ich sicher – als das neugeborene Kind zum ersten Mal in die Augen seiner Mutter und in die Augen Josefs sah, da gab dieser Blick ihnen den Mut, den sie so dringend brauchten.

 

Das Kind in der Krippe sieht auch uns an.

Und es macht uns Mut. Es macht uns stark, damit wir handeln können. Eben damit wir auch unter widrigen Bedingungen nicht darin nachlassen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen oder, um es christlich auszudrücken, die Erde ein wenig näher an den Himmel heranzubringen.

 

An Weihnachten berühren sich Himmel und Erde. Gott kommt uns ganz nah, in einem kleinen Kind in der Krippe. Und Himmel ist, wenn Gott da ist, ganz nah, mitten unter uns. 

 

Der Evangelist Lukas beschreibt in seiner Weihnachtserzählung ein himmlisches Heer, wie er sagt, Engel, die aus dem bescheidenen Stall von Bethlehem ein Stück vom Himmel machen. Und Johannes berichtet von der Herrlichkeit des einzigen Sohnes Gottes, voller Gnade und Wahrheit, die sichtbar geworden ist.

 

Wie können wir heute, in dieser Zeit Weihnachten feiern? 

The same procedure as every year?

Oder vielleicht mal ganz anders?

Mit Geschenken oder ohne?

Mit vielen Menschen und Party oder im kleinen Kreis?

 

Das ist jedem selbst überlassen, solange das, was Weihnachten wirklich ausmacht, klar und sichtbar ist, nämlich dass Gott einen neuen Bund mit uns Menschen schließt, indem er selbst einer von uns, indem er selbst Mensch wird. 

Gott will unser Bruder, unser Freund, unser Mutmacher und Halt sein. Er ist zu uns gekommen, um zu bleiben. An Weihnachten fragt Gott jeden Menschen: Willst du meine Freundin, willst du mein Freund sein? Und dabei sieht uns an durch die Augen eines kleinen Kindes.

 

Und wenn jede Kerze, die wir an Weihnachten entzünden, jedes Gesteck, jeder Weihnachtsbaum, jedes Geschenk und vor allem jede Krippe diese großartige Freundschaftsanfrage an uns mit einem ehrlichen JA beantwortet, dann ist wirklich Weihnachten. 

Ein solches Weihnachtsfest wünsche ich uns allen.

 

Amen.